Dienstag, 20. April 2010

Non scholae sed vitae discimus, oder?

Was ist eine gute Schule?
Mit dieser Fragestellung hat sich der Hamburger Senat befasst und letztlich eine Schulreform beschlossen, die alles zum Besseren wenden soll. Kritik daran gibt es reichlich, so das der Senat gezwungen war, hier nachzubessern. Das Ergebnis ist ein Kompromiss, mit dem offenbar niemand so recht zufrieden ist und als Krönung des ganzen wird gleich noch ein sog. Schulfrieden vereinbart, der dafür sorgt, daß dieser Zustand die nächsten 10 Jahre andauert.

Mit der Eingangsfrage haben sich auch die Hamburger Piraten beschäftigt, da am 18.07.2010 über den Volksentscheid der Initiative "Wir wollen lernen" abgestimmt wird und auch wir Piraten uns eine Meinung über die Thematik bilden sowie eine Abstimmungsempfehlung aussprechen wollen. Um dies zu leisten hat sich die AG Schulreform gebildet und alle Argumente nochmal zusammengesucht und auf dem Themenkongress präsentiert.
Ich habe daraus für mich mitgenommen, daß die Schulreform, so wie sie jetzt geplant ist, in jedem Fall fast vollständig umgesetzt wird und sich der Volksentscheid bloß noch um die Beibehaltung der vierjährigen Grundschule (inkl. Elternwahlrecht und Überprüfung durch die Lehrerkonferenz nach zwei Jahren) oder die Einführung der sechsjährigen Primarschule (auch mit Elternwahlrecht und der selben Überprüfung nach einem Jahr) dreht.

Vor diesem Hintergrund frage ich mich ernsthaft, ob der ganze Volksentscheid überhaupt noch Sinn macht. Ob die Schüler jetzt 4 oder 6 Jahre im selben Klassenverbund lernen macht in meinen Augen keinen Unterschied. Es gibt zwar den sozialen Ansatz, die Klassen so länger zusammen zu lassen und sich in der Schule entwickelnde Freundschaften nicht nach 4 Jahren auseinander zu reißen, aber ob so eine Trennung nach 6 Jahren angenehmer für die Schulfreunde wird, wage ich doch zu bezweifeln. Außerdem kann man dem auch entgegenhalten, daß so die weiterführende Schule länger dauert und sich die Freundschaften dort länger und besser entwickeln können, zumal aus diesen ohnehin viel eher die Freundschaften fürs Leben entstehen.

Für eine sechsjährige Primarschule spricht auch, daß hier schwächere Schüler von der Nähe zu stärkeren Mitschülern länger profitieren können. Dies ist logisch und für Diese absolut wünschenswert, beinhaltet im Umkehrschluss aber auch, daß leistungsstarke Schüler in ihrem Lerneifer gebremst werden, da das Lerntempo dem Durchschnitt angepasst werden muß. Hier schimmert die fatalistische Frage durch, was das bessere Ergebnis ist: ein flächendeckender Durchschnitt oder eine Aufspaltung in Spezialisten und Versager. Letztlich kann meines Erachtens keine dieser möglichen Ergebnisse als besonders Wünschenswert erachtet werden. Zum einen ist eine gesellschaftliche Spaltung in diesem Maße völlig inakzeptabel und führt nur zu weiteren sozialen Problemen, die mit viel (Steuer-)Geld gelindert werden müßten. Zum Anderen wird eine Gesellschaft der Mittelmäßigkeit im internationalen Vergleich nicht bestehen können und als ganzes in die Bedeutungslosigkeit abrutschen, was zu ähnlichen Sozialproblemen führt, wie die andere Option.

Zum Glück sind diese Wege aber in keiner Weise vorgezeichnet und hängen ganz sicher nicht daran, wo Schüler 2 Jahre ihrer Schulzeit verbringen. So kann ich eigentlich nur zu dem Schluss kommen, daß der ganze Volksentscheid eine Farce ist und objektiv überhaupt nichts ändern kann. Was bleibt ist die - auf dem letzten Landesparteitag beschlossene - Empfehlung der Hamburger Piraten, in den Tenor der anderen Parteien einzustimmen und beim Entscheid mit Nein - und damit für die sechsjährige Primarschule - zu stimmen.

Ob man sich damit nicht einen Bärendienst erwiesen hat bleibt abzuwarten. Je nachdem, wie groß der Prozentsatz des Wahlvolks ist, der sich weitgehend genug mit der Materie beschäftigt hat, um die Empfehlung zu verstehen, kann das - unter Berücksichtigung der genannten sozialen Aspekte - die Piraten in ein positives Licht rücken. Es kann aber ebenso gut als eine grundsätzliche Zustimmung zu einer unausgegorenen Schulpolitik mit ihren halbherzigen Kompromissen verstanden werden, die zu allem Überfluss diesen Zustand auch noch für die nächsten 10 Jahre zementiert.

Mittwoch, 3. März 2010

Jetzt erst recht...

Zu diesem Post und zum bloggen allgemein bin ich ganz spontan durch die Meldungen über die Verfassungswidrigkeit der Voratsdatenspeicherung gekommen. Ich hab mich gefragt, ob die Piratenpartei, jetzt, da ihre Hypethemen Zugangserschwerungsgesetz und Voratsdatenspeicherung mehr oder weniger aufsehenerregend und ohne jegliches aktives Mitwirken der Piraten  ad Acta gelegt wurden, überhaupt noch benötigt wird.

Schließlich scheint ja auch alles so seinen Gang zu gehen: Die etablierten Parteien behaken sich gegenseitig ohne Rücksicht auf Verluste oder gar evtl. guter Ideen (Opposition verpflichtet! Wo kämen wir denn dahin, wenn man eine Idee der Konkurrenz gut findet, nur weil sie wirklich sinnvoll sein könnte...?), die Abgeordneten von den billigen Plätzen kommen mit dubiosen Ideen, die nichtmal simpelsten Stichproben von Laien standhalten, die Koalition setz Selbige mit dem Brecheisen in Gesetze um, nur damit die Nachfolgekoalition, sollte das Gesetz es noch nicht ganz durch den Geburtskanal der Legislative geschafft haben, Dieses mehr oder weniger stillschweigend wieder relativiert und das Bundesverfassungsgericht kassiert den sonstigen geistigen Abfall, der das Glück hatte, es mangels Wahljahr bis zum Gesetz geschafft zu haben. Im Endeffekt wird doch sowieo nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird und alles irgendwie gut... oder?

Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: "Ja, aber...".
Ja, die ganzen Hypethemen haben mehr oder weniger ein gutes Ende gefunden oder sind auf dem Weg dahin,  ja, das Bundesverfassungsgericht bleibt ein stabiles Bollwerk gegen die Eskapaden unserer Regierungen aller Couleur und ja, man kann sich immernoch sicher sein, daß alles, was die Regierung von gestern gesagt und getan hat mit dem Machtwechsel - und sei er auch nur partiell - keinerlei Bedeutung mehr hat.

Aber ist das wirklich gut so? Zum einen sind selbst die guten Wege, die diese beiden ausgewählten Themen nun scheinbar gehen, noch garnicht so sicher wie es den Anschein hat. Das Zugangserschwerungsgesetz, vermutlich der größte Anheizer und Mitgliederfabrik der Piratenpartei, ist nun, wenn auch verzögert, doch noch von Bundespräsident Horst Köhler unterschrieben worden. Die Parteien des Bundestages beschwören inzwischen zwar, dieses so nicht mehr zu wollen, zugunsten von "Löschen statt sperren" zu ändern oder es sogar ganz zu kippen, aber bei der Aufmerksamkeitspanne, die der Politiker von Welt üblicherweise an den Tag legt, gehe ich eigentlich davon aus, daß diese guten Vorsätze bis zum Sommer völlig in Vergessenheit geraten sind. Ihr Job in der Sache ist ohnehin getan: Das Gesetz hat den Bundestag und auch den Bundesrat passiert und lag letztlich bloß noch im Posteingang des Bundespräsidenten, wo es Staub ansetzte. Nun ist es unterzeichnet und wird damit zu einem Gesetz. Möglich, daß es keiner mehr will und es vllt. auch garnicht mehr angewandt wird, aber es wird da sein und es ist nur eine Frage der Zeit, bis Gras darüber gewachsen ist und übereiffrige Innenminister und Polizeipräsidenten darüber stolpern und es klammheimlich anwenden können.

Auch beim gekippten Zugangsershwerungsgesetz ist nicht alles Gold was glänzt: Die gespeicherten Daten müssen zwar gelöscht und dürfen so nicht wieder erhoben werden, aber die Begründung des Urteils lässt doch einige Schlupflöcher. So bejaht es z.B. ausdrücklilch die Interessen der Musikindustrie an eben diesen Verbindungsdaten. Letztlich ist "nur" die verdachtslose Speicherung der Daten als Verfassungswidrig klassifiziert worden und es wird nicht lange dauern, bis findige Anwälte Verdächtigungen gegen alle denkbaren Untermengen der Bevölkerung ersonnen und niedergeschrieben haben um alle diese Daten wieder zu erheben und, noch besser, auch ein berechtigtes Interesse daran zu haben, darauf zuzugreifen.

Zum Anderen lässt mich die gelebte Praxis der Politik doch stark daran zweifeln, daß die erzielten Ergebnisse mehr sind als nur Glückstreffer. Seit Jahrzehnten wird Deutschland von Parteien regiert, deren einziger Sinn und Zweck es zu sein scheint, sich selbst an der Macht zu halten. Diese Parteien sind durch die Bank hierarchisch organisiert. Es wird gemacht, was die aktuelle Führungsspitze will und damit basta! Der Begriff "Führerprinzip" drängt sich hier gradezu auf. Ich will damit keineswegs die Hierarchie als solche kritisieren, ist sie doch unbedingt nötig, um einen eingeschlagenen Weg mit vielen Beteiligten sinnvoll und ergebnisorientiert gehen und das gesteckte Ziel erreichen zu können. Es will sich mir nur nicht einprägen, warum eine breite Basis dafür da sein soll, die Wünsche einiger weniger Eliten umzusetzen. Wir leben in einer Demokratie und hier soll ja angeblich "alle macht vom Volke" ausgehen. Für mich heißt das eigentlich, daß eine Führungsspitze alles erdenkliche zu unternehmen hat, um die Wünsche des Volkes, oder analog der Basis, umzusetzen. Diesen demokartischen Grundgedanken vermisse ich in allen etablierten Parteien, deren einziger demokratischer Ansatz darin zu bestehen scheint, durch turnusmäßige Wahlen zu entscheiden, wer grade der Oberhäuptling sein und sich an den Fleischtöpfen der Macht bedienen darf.

Bei diesem Hauen und Stechen, das wir Politik nennen, ist es nurnoch Glück oder die Macht des Stärkeren (und auch hier wieder das Glück, das grade der Stärkere den "guten Einfall" hatte), wenn mal etwas Sinnvolles zustande kommt. Man kann sich nicht für alle Ewigkeit darauf verlassen, daß die Nachfolgeregierung den Nonsens der Vorgänger wieder glatt zieht oder das das Verfassungsgericht als letztes Bollwerk uns auf ewig davor schützt. Irgendwann wird auch das stärkste Bollwerk von der rauhen See unterspült und ausgehölt werden und spätestens dann ist nichts mehr, was uns lieb und teuer ist noch sicher vor den Interessen derjenigen, die das Glück hatten, grade dann am richtigen Hebel zu sein.

Und genau aus diesem Grund ist die Piratenpartei noch längst nicht überflüssig sondern nötiger denn je. Schließlich ist sie die einzige Partei, die sich zu den Interessen ihrer Basis bekennt und auch nur im Sinne Dieser handelt. Keine andere Partei ist aus sich heraus so sehr auf Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Vorgänge bedacht und auch keine andere Partei sieht unser Grundgesetz derart als eines der höchsten Güter, die man überhaupt haben kann. Sicher, die Forderungen nach Trasparenz und Rechtstaatlichkeit und auch immerwieder der Verweis auf Verfassungskonformität ist nicht neu und wurde schon von jeder Partei verwendet. Aber die Piraten sind meines Wissens bisher die Einzigen, die sich selbst daran messen lassen und diese hehren Ziele wirklich leben. Wo sonst kann ein Vorstandsmitglied wegen intransparenter Absprachen von der Basis so sehr angefahren werden und der restliche Vorstand sorgt nicht etwa für Ruhe, sondern dafür, daß die Vorgänge aufgeklärt werden? Wo sonst kann ein Amtsträger der Partei ausgiebig diskutieren und sich sogar völlig verrenen, ohne dafür aus seinem Amt gejagt zu werden wenn er seinen Fehler einsieht und korrigiert?

In den Piraten sehe ich das, was eine starke Demokratie braucht um auf dauer bestehen zu können: Diskussion auf allen Ebenen und vor allem auch Ebenenübergreifend, nachvollziehbare Vorgänge und basisdemokratische Entscheidungsfindung.